Donnerstag, 22. August 2013

Antonio Negri, Michael Hardt, Die Arbeit des Dionysos. Materialistische Staatskritik in der Postmoderne


Antonio Negri, Michael Hardt, Die Arbeit des Dionysos. Materialistische Staatskritik in der Postmoderne

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In den Grundrissen schrieb Marx: »Die Arbeit ist das lebendige, gestaltende Feuer; die Vergänglichkeit der Dinge, ihre Zeitlichkeit, als ihre Formung durch die lebendige Zeit.« (MEW 42: 278) Unsere Untersuchung zielt darauf, die Voraussetzungen und Dimensionen einer Praxis schöpferischer Freude zu entdecken – und Freude bedeutet hier die zunehmende Macht eines sich entwickelnden gesellschaftlichen Subjekts. Die lebendige Arbeit dieses Subjekts ist zugleich Freude, die Affirmation der eigenen Macht. In diesem Sinn ist die Affirmation der Arbeit die Affirmation des Lebendigen selbst. Uns bleibt dabei keineswegs verborgen, daß Arbeit, wie wir sie gegenwärtig in der Gesellschaft vorfinden, tagein und tagaus, kaum etwas mit Freude zu tun hat, sondern eher Stumpfsinn und Langeweile für die einen, Leid und Elend für andere bedeutet. Die endlose Wiederholung des Immergleichen kapitalistischer Arbeit zeigt sich als Gefängnis, das unsere Fähigkeiten einkerkert, das uns die Zeit stiehlt, und die Zeit, die es uns läßt, unsere Freizeit, scheint nur noch dazu da, unsere Passivität und unsere Untätigkeit aufzunehmen. Doch Arbeit, wie wir sie meinen, muß auf einer anderen Ebene begriffen werden, in einer anderen Zeitlichkeit. Die lebendige Arbeit (re-)produziert das Leben und die Gesellschaft in einer Zeit, die eine vom Arbeitstag auferlegte Einteilung durchkreuzt, die zugleich innerhalb und außerhalb der Gefängniszellen des kapitalistischen Arbeitstags und seines Lohnverhältnisses liegt, zugleich im Reich der Arbeit und der Nicht-Arbeit. Einer Aussaat unter dem Schnee vergleichbar, ist das lebendige Vermögen immer schon in den dynamischen Netzwerken sozialer Kooperation aktiv, in der Produktion und Reproduktion der Gesellschaft, die innerhalb und außerhalb der Zeitlichkeit verläuft, die das Kapital auferlegt. Dionysos ist der Gott der lebendigen Arbeit, schöpferische Kraft in ihrer eigenen Zeit. Im Verlauf unserer Untersuchung werden wir unser Augenmerk darauf richten, was an Praxis sich entwickelt und an Theorie wirkt, wenn es dem Kapital gelingt, die wilden Energien der lebendigen Arbeit zu bändigen und zu zäumen, um sie im Arbeitsprozeß einzuspannen. Doch zielen unsere Analysen der praktischen und theoretischen Verzweigungen in den Staatsapparaten, die der Kontrolle und Ausbeutung dienen, nicht auf Ehrfurcht vor diesem ungeheuren Aufmarsch, sondern versuchen im Gegenteil die Kräfte zu erkennen, die jene Ordnung unterwandern und ihr eine radikale Alternative entgegenstellen. Unter dem zugleich fester und feiner werdenden Joch der gegenwärtigen kapitalistischen Verhältnisse gewinnt die lebendige Arbeit noch an Stärke und zeigt, daß sie schließlich unbezähmbar ist. Hiervon spricht das Kommunistische Manifest: »Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.« (MEW 4: 467) Unsere Arbeit ist diesen schöpferischen, dionysischen Gewalten der Unterwelt gewidmet.

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